Boden, Humus und die hohe Politik

Humus ist schlechthin die Schlüsselsubstanz für die Fruchtbarkeit landwirtschaftlicher Flächen. Ausreichend ertragreiche Böden sind wiederum die existenzielle Grundlage jeder Bevölkerung. Sie waren und sind daher immer Gegenstand von wirtschaftlichen und politischen Interessen und Konflikten: lokal, regional, national, global.

Insbesondere angesichts der sich abzeichnenden weitergehenden massiven Zunahme der Weltbevölkerung sollte man sich auf gravierende Umverteilungskämpfe und weitergehende Naturzerstörungen (z.B. Abholzen der Tropenwälder) einstellen. Daran wird sich so lange nichts ändern, wie man es in den Industrienationen bei elitären Zahlenspielen und Phantastereien bzgl. weltfremder und überidealisierter Daseinsformen belässt und sich ansonsten im Hinblick auf die realen irdischen Verhältnisse bedeckt hält.

Nutzbare Bodenflächen sind nun mal eine begrenzte Ressource, um die sich diverse Interessensgruppen streiten. Bei uns sieht die Hackordnung in der Flächenumverteilung dabei so aus: Allen voran stehen die Flächenverbraucher mit ihren Bautätigkeiten, die auch kein Problem haben, wertvollste Ackerböden zuzubetonieren.

Dann folgen zunehmend die Energiebauern, dann die klassischen Nahrungsmittelproduzenten unterschiedlicher Größe und zuletzt die innovativen Öko- und Biobauern. Und über allem schwebt der Naturschutz, der überhaupt keine Nutzung mehr haben will, zumindest bei uns. Man kann ja für die Dinge des täglichen Bedarfs externe Ressourcen anzapfen und die Produkte mit einem erheblichen Transportaufwand heranführen.

Hier geht der Naturschutz eine unheilige Allianz mit den Flächenversieglern und Flächenentwicklern ein, die über die Ausgleichsflächenpolitik zwar den unmittelbaren Ehrgeiz der Naturschützer befriedigen, aber letztlich auf Kosten meist landwirtschaftlicher Nutzflächen, wodurch der Druck zu noch intensiverer Landwirtschaft auf den verbliebenen landwirtschaftlichen Restflächen steigt.

Dies ist aber eine vergleichsweise harmlose Form von Verteilungskampf. Wie die Geschichte zeigt, kann dieser aber durchaus bis zum Völkermord führen, wie er sich vor noch nicht einmal hundert Jahren in Osteuropa ereignete:

Bodenumverteilung im Sowjetreich

Die Ukraine weist über riesige Flächen mehrere Meter dicke Schichten sehr humusreicher und fruchtbarer Böden auf: die sog. Schwarzerde (russisch: Tschernosem, ein Begriff der allgemein in der Bodenkunde für diese Bodenform verwendet wird). Die Ukraine wird daher auch als die Kornkammer Europas bezeichnet.

In diesen sog. Schwarzerde-Regionen bildete sich deshalb in den letzten Jahrhunderten ein selbstbewusster eigenständiger Bauernstand, die sog. Kulaken. Mit dem Hereinbrechen des Bolschewismus Anfang des 20. Jahrhunderts beschloss die politische Führung der neuen Sowjetunion den Zugriff auf diese ertragreichen Regionen. Es sollten die Kulaken enteignet und die kommunistische Kolchosenwirtschaft eingeführt werden.

Um dies ohne viel Federlesens umzusetzen, gefiel es "Väterchen Stalin", durch staatlich organisierte Plünderung aller Agrarprodukte, flächendeckenden Dauerbelagerungszustand sowie Deportationen den Stand der Kulaken mit Stumpf und Stiel auszurotten ("sog. Dekulakisierung", "Entkulakisierung").

Das Resultat war u.a. auch der Zusammenbruch der Landwirtschaft mit der Folge einer landesweiten Hungerkatastrophe. Insgesamt waren mehr als 10 Millionen Tote Anfang der 1930er- Jahre zu beklagen (sog. innere Angelegenheit der Sowjetunion).

Bodenumverteilung auf Deutsch

Und kaum war diese Heimsuchung vorüber, fiel der "GröFaZ" aus Deutschland auf seiner Suche nach Lebensraum im Osten in die Ukraine und Russland ein. Ziel waren u.a. auch wieder die Schwarzerde-Regionen und das Ergebnis war ähnlich desaströs.

Eine Ironie der Geschichte ist dabei, dass der "Führer" ein großer Moor-Freund war. Im Vorfeld des Russlandfeldzugs 1941 beschäftigte er sich auch mit "Nebensächlichkeiten" und wollte jegliche weitere Kultivierung und Nutzung von deutschen Mooren mit folgendem Hinweis verbieten lassen (Zitat aus einem Amtsbriefwechsel):

Außerdem ist der Führer der Ansicht, dass unser Klima ebenso wie durch die Wälder auch durch die Moore günstig beeinflusst wird und dass die völlige Beseitigung der Moore unabsehbare klimatische Folgen haben würde. Des Weiteren glaubt der Führer, dass die Moore natürliche Wasserspeicher darstellen, die bei starken Niederschlägen oder bei rascher Schneeschmelze überflüssiges Wasser aufnehmen, um es in trockenen Zeiten wieder abzugeben und dass auf diese Weise ein Ausgleich zwischen Hoch- und Niederwasser der Flussläufe erfolgt, dessen Beseitigung infolge der Kultivierung der Moore gefährliche Folgen haben könnte. Die Neugewinnung von land- und forstwirtschaftlich genutzter Fläche durch Trockenlegung der Moore muss nach Auffassung des Führers demgegenüber zurücktreten, was um so eher in Kauf genommen werden kann, als uns die Erfolge des Krieges neues Wald- und Ackerland in reichlichem Maße eingebracht haben.

Bodenumverteilung wurde seinerzeit durchaus auch wörtlich verstanden: Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Ukraine wurde güterzugweise Schwarzerde "heim ins Reich" geschafft.

Der "Führer" war damit nicht nur bzgl. der hydrologischen und klimatischen Wirksamkeit von Mooren auf dem Holzweg: Mit dem Lebensraum im Osten wurde es nichts, die Weltkatastrophe erforderte im geschrumpften Deutschland wieder einmal aus existenziellen Gründen (Flüchtlingsbewegung) die Urbarmachung neuer Moorflächen, z.B. im Emsland, aber auch in kleinerem Umfang im Alpenvorland, u.a. in den Südlichen Chiemseemooren ("Neuseeland" westlich von Übersee).

Moderne Bodenumverteilung

Der Kampf um Ressourcen liegt im Wesen des Menschen und wird wegen der globalen Bevölkerungsexplosion in Zukunft verstärkt weitergehen. Schon heute findet Umverteilung von fruchtbaren Böden im globalen Maßstab in Form von finanzgetriebenem "Land-Grabbing" statt. Nach der Verwüstung eigener landwirtschaftlicher Nutzflächen erwirbt China nun in Afrika riesige Ländereien zur Sicherung des Nahrungsmittelbedarfs in China. Der Hungerkontinent Afrika wird damit also zum Nahrungsmittelexporteur. Was passiert, wenn sich die Bevölkerungszahl in Afrika in den nächsten Jahrzehnten schlichtweg verdoppelt und eines Tages der Ruf "Afrika den Afrikanern" erschallt (wobei fraglich ist, ob diese überhaupt in Afrika bleiben wollen)?

Europa wiederum führt massiv Futtermittel (z.B. Soja) für die heimische Tiermast ein. Diese werden wiederum auf riesigen Flächen außerhalb Europas u.a. in Südamerika angebaut, wobei dann auch der Tropenwald unter die Räder kommt. Ähnliches läuft in Süd-Ost-Asien zum Thema Palmöl ab.

Auch vor unserer Haustür greift die Landnahme um sich: Hier versucht eine spezielle Form von Heuschrecken u.a. der erwähnten humusreichen Schwarzerde-Böden in der Ukraine habhaft zu werden nach dem Motto: Je knapper in der Zukunft die Ressource "Boden" ist, desto höher ist der Profit. Aber auch in unserer Europäischen Union mit ihren hochgepriesenen Werten erliegt man entsprechenden Versuchungen, wie man in Rumänien und Bulgarien studieren kann.

Beim Thema Klimawandel hat sowieso jeder seine eigenen Ansichten. Die Schifffahrt spekuliert auf die eisfreie Nord- West-Passage in der Arktisregion. In Russland hofft man auf eine Verschiebung der Klimagrenze für die landwirtschaftliche Bodennutzung nach Norden mit einem entsprechenden Zugewinn an Flächen in der (dann ehemaligen) Taiga bzw. Tundra. Auch die Eskimos in Grönland üben sich schon mal als Kartoffel- und Salatbauern, wenn es irgendwann mit der Robbenjagd nicht mehr so weit hersein sollte. Und in Bayern nimmt der Weinbau weiter zu und wir müssen nicht mehr in die Toskana fahren (und sparen dadurch Treibstoff).

Der Boden als Kohlenstoffspeicher

Die hohe Politik hat sich über lange Zeit wenig um ausgeglichene Humusbilanzen der regional verfügbaren Nutzböden, z.B. als existenziell entscheidende Basis für eine effiziente regionale Nahrungsmittelproduktion, gekümmert. Erst als es darum ging, öffentlichkeitswirksam Öko-Pluspunkte zusammenzukratzen stieg das Interesse am Humus schlagartig, aber nicht in Richtung existenzieller wichtiger Fragen der Nahrungsmittelerzeugung, sondern um den Boden auf sein Potential zur Kohlenstoffverklappung per Biomasse oder Pyrokohle zu reduzieren. Die deutsche Ökobilanz in Sachen CO2 soll optisch aufpoliert werden, um sich dem Rest der Welt ungeniert als angebliches Ökovorbild und als WeltÖko-Oberschiedsrichter aufdrängen zu können.

Die "gute" Nachricht: Die globale Kohlenstoffbilanz der Böden ist wegen des erhöhten CO2-Angebots der Atmosphäre sowieso schon positiv: Der Humusgehalt und damit der Gehalt der Böden an Kohlenstoff nehmen zu, der Atmosphäre wird über die Bioschiene zunehmend mehr CO2 entzogen. Dies gilt allgemein für die globale Gesamtheit der Böden. Auch Torf als Spezialfall der Humusbilanz entsteht permanent neu und ist daher im globalen Maßstab ebenfalls nachhaltig (ca. 5 Milliarden m³/Jahr). Allerdings sind die CO2-Emissionen der Menschheit dermaßen gigantisch, dass die Gesamtheit aller global wirkenden natürlichen Kohlenstoffsenken einschließlich der globalen Biomasseproduktion eben schon lange nichts mehr Entscheidendes bewirkt und die Treibhausgase in der Atmosphäre nach wie vor fröhlich weiter zunehmen. Aber Gott sei Dank können wir ja im Kampf gegen den Klimawandel mit unserem torffrei gefüllten Blumentopf zurückschlagen.