Pyrolyse und chemische Rohstoffe

Die Pyrolyse wurde früher als "Verschwelung" oder "trockene Destillation" bezeichnet. Jede pflanzliche oder tierische Biomasse, aber auch Plastik, kann durch Pyrolyse, d.h. Wärmebehandlung unter Luftausschluss bei höheren Temperaturen, verkohlt werden.

Bei der Pyrolyse von Biomasse werden neben der Kohle noch weitere Stoffe gebildet, die in Form der sog. Schwelgase (besser: Schweldämpfe) und Teer anfallen. Diese waren Ende des 19. Jahrhunderts durchaus als Rohstoffquelle für die Chemische Industrie von hohem Interesse (hauptsächlich aus der Steinkohle-Verkokung).

Als Laie kann man den Vorgang der Pyrolyse bei der Einrichtung eines Lagerfeuers beobachten. Die lodernden und leuchtenden Flammen eines solchen Feuers sind nichts anderes als die abbrennenden Schweldämpfe aus dem erhitzten Holz. Nach Beendigung dieser Phase bleibt die weitgehend flammenlos glühende Holzkohle übrig. Pyrolyse (thermische Aufspaltung organischer Substanz) erfolgt bei Temperaturen ab ca. 300°C bis ca. 1000°C. Je nach Pyrolyse-Temperatur weist die Kohle noch unterschiedliche Gehalte an Reststoffen auf. Je höher die Temperatur, umso reiner ist der anfallende Kohlenstoff (bis auf den Aschegehalt). Bei Temperaturen um 1000°C erhält man vollständig ausgegasten Koks mit einem Kohlenstoffgehalt von über 90% (als Rest bleibt Asche übrig). Die Verschwelung von wasserfrei vorgetrocknetem Torf in Retorten ergab (bezogen auf eine Einsatzmenge von 100 kg):

Torfkohle ca. 40 kg
Schwelgase, bzw. Kondensate:  
Ammoniakwasser ca. 40 kg
Teer ca. 5 kg
Nicht nutzbare Gase, Verluste: ca. 15 kg

Diese Werte variierten allerdings stark mit der Herkunft und Qualität des Torfs.

Aus dem Teer konnten dann weitere Stoffe isoliert werden z.B. Öle, Paraffine, Asphalt etc. Die anfallenden Schwelgase wurden oft rückgeführt und zur Heizung der Retorten verbrannt.

Pyrolyse heute:

Biomassekohle (z.B. Pflanzenkohle) ist gerade dabei, eine neue Erfolgsgeschichte als ökologischer Zuschlagstoff bei vielerlei Anwendungen zu schreiben, z.B. in der Bodenkultur (Terra Preta), Viehhaltung, als Filtermaterial - ähnlich, wie es bei Torf über lange Zeit der Fall war. Jeder, der Holzvergaseranlagen betreibt, könnte zumindest teilweise die anfallende Pyrolysekohle für andere Zwecke abzweigen.

Mit der Herstellung von Bio- oder Pflanzenkohle bis hin zur Grillkohle könnten sich für diverse Biomassehöfe und Ökomodelle neue Geschäftsfelder auftun, bei denen man nicht nur nach Energiegewinnung schielen muss, sondern wesentlich umfänglicher die Umwelt und Ökobilanzen positiv beeinflussen kann.

Ähnlich wie schon vor mehr als hundert Jahren nimmt aber auch das Interesse an Pyrolyse-Nebenprodukten bei der thermischen Aufbereitung von Biomasse aktuell wieder deutlich zu. So gibt es z.B. in Skandinavien und Russland Forschungsaktivitäten in Sachen Pyrolyse von Torf und speziellen forstlichen Biorückständen (z.B. Nadelbaumrinden) im Hinblick auf die Erzeugung von bisher unbekannten bioaktiven Substanzen.

Torfkohle

Auf Torfkohle als Brennmaterial wurde im Kapitel "Torfkohle/Torfvergasung" schon hingewiesen. Biomassekohlen haben allerdings viele weitere interessante und nützliche Eigenschaften.

Torfkohle hat dabei eine gewisse Sonderrolle: Im Vergleich zu Holzkohle weist sie einen noch höheren Grad an Mikro- und Nanoporosität auf und hat damit eine große innere Oberfläche (Größenordnung mehrere 100 m²/cm³). An diesen inneren Oberflächen können chemische Substanzen angelagert und gebunden werden. Bereits vor 150 Jahren wurde Torfkohle zum Entfärben von Naturprodukten verwendet, z.B. von Sirup und Zuckermelasse.

Ebenfalls vor mehr als hundert Jahren wurde Torfkohle auch als Zuschlag beim Viehfutter (sog. Futterkohle) oder zur Bodenverbesserung vorgeschlagen. Als Bodenverbesserer ist Torfkohle wegen seiner ausgeprägten Mikroporosität der normalen Pflanzenkohle überlegen, insbesondere bei der Bindung z.B. von Ammoniak und anderen Stickstoffverbindungen aus "Rückständen" der landwirtschaftlichen Viehhaltung. Dadurch können bei geeigneter Anwendung Stickstoffverluste durch Ausgasung oder Auswaschung drastisch verringert und dem Biokreislauf wieder zugeführt werden.

Torfkohle kann durch zusätzliche chemische Nachbehandlung in seiner Aktivität nochmals gesteigert werden und stellt eine der effektivsten Aktivkohlen dar. Torfbasierte Aktivkohle wird von Spezialfirmen auch heute noch angeboten. Interessant ist u.a. die Anwendung als Goldfilter bei der Goldgewinnung durch chemisches Auslaugen (Cyanidverfahren).

Schwelgasprodukte

(besser: Schweldampfprodukte)

Im Falle von Torf war mit der Nutzung der Schwelgasprodukte die Hoffnung verbunden, einen Beitrag zur Rentabilität und Konkurrenzfähigkeit von Torf gegenüber Kohle beisteuern zu können.

Es konnten über die Temperaturen bei der Verschwelung bzw. durch Zugabe von Wasserdampf ("steam reforming") je nach gewünschter Anwendung unterschiedliche Qualitäten, Mengen und Zusammensetzungen der Schwelgasprodukte erzeugt werden. Torf mit seinem ohnehin höheren Wasseranteil erwies sich erwartungsgemäß auch als besonders "schwelgas-intensiv".

Teer

Paradebeispiel für nützliche Schwelprodukte ist der Teer, der bei der Pyrolyse von Steinkohle, Braunkohle, Torf und auch Holz anfiel. Hieraus wurden komplexe chemische Reinstoffe gewonnen, wie z.B. das berühmte Anilin aus Steinkohleteer, das zur ersten Synthese eines Farbstoffs, dem Indigo (u.a. für Blue Jeans) verwendet wurde. Diese Rohstoffquellen waren u.a. die Basis für die Entwicklung der Deutschen Chemieindustrie (z.B. BASF = Badische Anilin- und Sodafabrik) mit weltweiter Reputation bis hin zum klassischen Begriff von Deutschland als "Apotheke der Welt".

Letztlich dominierte das Erdöl aber zunehmend den Markt für chemische Ausgangsprodukte, wo eben nicht nur Treib- und Brennstoffe gewonnen werden, sondern in großem Umfang auch chemische Ausgangsstoffe für ganze Industriezweige wie z.B. die Kunststoff-Industrie.

Versuche, ähnliche Stoffe z.B. durch die sog. Kohlehydrierung herzustellen, waren in Deutschland wieder "Ausnahmesituationen" geschuldet, wie Autarkiebestrebungen und dem Rohstoffmangel im Zweiten Weltkrieg.

Leuchtgas, Torföle, Gasöl

Ende des 19. Jahrhunderts wurden die bei der Pyrolyse anfallenden Schwelgase wegen ihres Anteils an niedrig siedenden Kohlenwasserstoffen für die städtische Leuchtgasherstellung verwendet. Nur kohlenstoffreiche Kohlenwasserstoffe ergeben intensiv selbstleuchtende Flammen (z.B. Petroleumlampe, Karbidlampe). Erst die Erfindung des Glühstrumpfes ermöglichte dann den Einsatz auch nicht leuchtend verbrennender Gase wie Kohlenmonoxid (sog. Stadtgas) für Beleuchtungszwecke.

Höher siedende Kohlenwasserstoffe wie Benzine und Öle wurden durch Nachdestillation des anfallenden Teers gewonnen. Es gab hierfür je nach Destillationstemperatur unterschiedliche Produkte wie leichtes und schweres Torföl bzw. Turfol. Diese Öle wurden u.a. in Dochtlampen für Beleuchtungszwecke verwendet und liefen unter einleuchtenden Namen wie "Solaröl" und "Photogen". Bei der Pyrolyse fiel als sogenanntes Mitteldestillat auch das Gasöl an, das durch Hochtemperaturnachbehandlung in glühenden Retorten in flüchtigere Kohlenwasserstoffe zur Verwendung als Leuchtgas zerlegt wurde (Vorläufer des Crackens).

Flüssiges Gasöl eignete sich aber auch unmittelbar zum Betrieb von Verbrennungsmotoren. Dieselkraftstoff wird heute aus dieser Historie heraus noch gelegentlich als Gasöl bezeichnet.

Auch in dieser Hinsicht wiederholt sich die Geschichte: So bietet heute die finnische Firma FORTUM Anlagen zur pyrolytischen Gewinnung von sog. Otso-Biooil aus holzartigen Ausgangsmaterialien an. Solche Anlagen können auch in bereits bestehende Bio-Block-Heizkraftwerke integriert werden (nicht zu verwechseln mit dem BioLiq- Verfahren, das ganz anders funktioniert).

Kreosot, phenolhaltige Destillate

Charakteristisch für Schwelgase aus Holz und Torf sind die phenolischen Verbindungen, die sich weitgehend aus der Umwandlung des Lignin- Anteils pflanzlicher Biomasse ergeben. Kreosot ist ein im Teer enthaltenes Substanzgemisch, das die Ursache für den rauchigen Geschmack und Geruch der Pyrolyserückstände ist.

Kreosot enthält eine Vielzahl höherer Kohlenwasserstoffe, u.a. eben auch Phenol und dessen Derivate, und wirkt dadurch ausgeprägt keimtötend. Die konservierende Wirkung wird aber auch beim Räuchern z.B. von Nahrungsmitteln über Holz oder Torf genutzt.

Der Rauchgeschmack von bestimmten Whiskysorten, Rauchbier, geräuchertem Fisch und Fleisch wird von minimalen Mengen an Schwelgaskondensaten verursacht, die sich beim Darren der Getreidekeimlinge bzw. Räuchern über Holz oder Torf auf den zu trocknenden oder zu räuchernden Produkten niederschlagen. Man sollte den Genuss solcher Produkte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht übertreiben. Bei Rauchwhisky wird z.B. auf dem Flaschenetikett ausdrücklich auf den Phenolgehalt hingewiesen.

Die keimtötende Wirkung der Schwelgaskondensate wurde auch noch weitergehend genutzt: Bei Tieren war insbesondere die Behandlung von Huf- und Klauenleiden mit Kreosot erfolgreich. Holz- und Torf-Kreosot wurde auch in der klassischen Medizin in unterschiedlichster Weise angewendet, z.B. bei Lungenleiden, als zahnschmerzstillendes Agens und zur Behandlung bei Hautproblemen. Kreosot wird heutzutage noch in der Homöopathie angeboten.

Reines Phenol (die frühere "Karbolsäure") als wichtigem Bestandteil von Kreosot wurde als eines der ersten Desinfektionsmittel zur systematischen Hygiene in Krankenhäusern verwendet. Nicht von ungefähr wurden daher Krankenschwestern gerne auch als "Karbol-Maus" bezeichnet. Als Anstrich werden Kreosotprodukte bei der Holzkonservierung eingesetzt.

Unter der Bezeichnung "Torfit-Extrakt" wurde ein weiteres Kreosotprodukt über viele Jahrzehnte im Sanitärbereich in öffentlichen Bedürfnisanstalten zum Imprägnieren von sog. Torfitplatten zwecks Desinfektion und Geruchsbindung (vor allem von Ammoniak) verwendet.

Ammoniakwasser

In den wissenschaftlich-technischen Berichten bzgl. der Verschwelung von Festbrennstoffen wurde bis Anfang des 20. Jahrhunderts das anfallende sog. "Ammoniakwasser" als Pyrolyseprodukt hervorgehoben. Torf enthält je nach Qualität 2 bis 3% Stickstoff in organischer Bindung, der bei der Pyrolyse zu Ammoniak umgesetzt wird.

Vor mehr als 100 Jahren gab es noch kein Verfahren zur Synthese von preiswertem Stickstoffdünger aus Luftstickstoff. Vielmehr musste meist auf Naturprodukte zurückgegriffen werden, wie geeignete Ammoniakverbindungen oder Nitrate in Form von importiertem Chile-Salpeter. Deswegen waren Schwelgase zumindest für eine gewisse Zeit als Ammoniakquelle von Interesse. In Friedenszeiten wurde aus dem Ammoniakwasser durch Zugabe von Schwefelsäure Ammoniumsulfat als landwirtschaftlicher Dünger gewonnen.

Diese Situation änderte sich grundlegend vor ziemlich genau hundert Jahren mit der großindustriellen Einführung des sog. Haber-Bosch- Verfahrens zur Ammoniaksynthese, direkt aus Luftstickstoff, allerdings aus ganz anderen Motiven. Hier war der Krieg der Vater aller Dinge: Ohne diese Nobelpreis dotierte deutsche Erfindung der Ammoniaksynthese wäre der erste Weltkrieg zumindest von deutscher Seite wegen Munitionsmangels ausgefallen, weil Deutschland von den für die Sprengstoffherstellung nötigen Salpeterlieferungen aus Chile abgeschnitten wurde. Hier war die Herstellung von synthetischem Ammoniak aus elementarem Luftstickstoff der entscheidende Lösungsschritt. Es war damals schon kein Problem, aus Ammoniak in einem zweiten Schritt mittels des katalytischen Ostwald- Verfahrens ausreichend Salpetersäure und Nitrate herzustellen.